In der Psychologie galten lange die beiden Pole Introversion und Extraversion, geprägt von Carl Gustav Jung, als grundlegende Persönlichkeitsmerkmale. Die meisten Menschen sind nicht rein introvertiert oder extrovertiert, sondern befinden sich in der Mitte auf einer Skala, einem Zustand, der als Ambiversion bezeichnet wird.
Nun taucht eine neue Theorie auf, die eine dritte Kategorie neben Introversion und Extraversion einführt: Otroversion. Der Psychiater Dr. Rami Kaminski prägte diesen Begriff, um einen Persönlichkeitstyp zu beschreiben, der sich von den anderen abhebt. Während die traditionellen Typen ihre Identität über ihre Beziehung zu Gruppen definieren (entweder durch Zugehörigkeit oder Distanz), definieren sich Otrovertierte durch ihre Unabhängigkeit vom Gruppendenken.
Die drei Persönlichkeitstypen im Vergleich
Ein zentraler Unterschied liegt in der Beziehung zur Gruppe:
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Merkmal
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Introvertiert
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Extrovertiert
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Otrovertiert
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Energiequelle
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Alleinsein, innere Reflexion
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Soziale Interaktion
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Unabhängigkeit, Fokus auf individuelle Themen
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Soziales Verhalten
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Bevorzugt tiefe Gespräche mit wenigen Personen; kann in Gruppen erschöpft werden
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Sucht aktiv große Gruppen und Stimulation; gesellig und offen
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Sucht individuelle, intensive Gespräche am Rande der Gruppe; lehnt Smalltalk ab
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Beziehung zur Gruppe
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Geht in Distanz zur Gruppe, um sich zu erholen
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Definiert sich über die Nähe zur Gruppe und Zugehörigkeit
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Steht am Rand der Gruppe, oft in Opposition zum Gruppendenken
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Alltagsbeispiel
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Zieht sich bei einer Feier früh zurück
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Geht von Tisch zu Tisch und führt Smalltalk mit vielen
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Führt ein tiefes Gespräch am Rand der Gruppe mit einer einzelnen Person
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Um die Einordnung noch präziser zu machen, können wir auch die Ambiversion betrachten, die eine Brücke zwischen den Haupttypen schlägt. Ambivertierte Menschen sind flexibel: Sie können sowohl die Ruhe des Alleinseins genießen als auch die Energie einer Gruppe. Ihre Herausforderung liegt oft darin, die richtige Balance zwischen beiden Polen zu finden.
Herausforderungen und Selbstreflexion
Das Verständnis deiner Persönlichkeit ist der erste Schritt zur Selbstakzeptanz. Hier sind einige praktische Tipps, wie du die spezifischen Herausforderungen deines Typs meistern kannst:
Wenn du dich als Introvertierter einschätzt:
Deine Stärke liegt in deiner Beobachtungsgabe und deinem analytischen Denken. Um in einer extrovertierten Welt erfolgreich zu sein, ist es entscheidend, deine Energie bewusst zu steuern.
- Finde deine Stimme: Bereite dich auf Meetings vor, indem du deine Gedanken und Argumente im Voraus notierst. Du musst nicht die lauteste Person im Raum sein; ein gut durchdachter, prägnanter Beitrag hat oft mehr Gewicht als endloses Reden.
- Schaffe Rückzugsorte: Plane bewusste Pausen während des Tages und nach sozialen Verpflichtungen. Das kann ein kurzer Spaziergang, fünf Minuten Stille am Schreibtisch oder eine ruhige Stunde zu Hause sein. Diese Zeit hilft dir, dich zu erholen und deine Batterien wieder aufzuladen.
- Wähle deine Beziehungen sorgfältig aus: Konzentriere dich auf wenige, aber tiefe Freundschaften, in denen du dich wirklich verstanden fühlst. Du musst nicht auf jeder Party sein, um ein erfülltes soziales Leben zu haben.
Wenn du dich als Extrovertierter einschätzt:
Deine Energie und dein Enthusiasmus sind ansteckend. Um diese Stärken zu nutzen, ohne dich zu verzetteln, ist es wichtig, auch nach innen zu blicken.
- Übe aktives Zuhören: Konzentriere dich bewusst darauf, anderen zuzuhören, anstatt nur darauf zu warten, selbst zu sprechen. Stelle offene Fragen, um das Gespräch zu vertiefen. Das stärkt nicht nur deine Beziehungen, sondern gibt dir auch neue Perspektiven.
- Nimm dir Zeit für Selbstreflexion: Plane regelmäßige „Alleinzeit“ ein, auch wenn es dir anfangs schwerfällt. Nutze diese Momente, um über deine Ziele, Werte und Gefühle nachzudenken. Tagebuchschreiben oder Meditation kann dir dabei helfen, bewusster zu leben und unüberlegte Entscheidungen zu vermeiden.
- Lass andere glänzen: Gib auch introvertierten Kollegen oder Freunden Raum, ihre Ideen zu teilen. Indem du die Bühne teilst, schaffst du ein inklusiveres Umfeld und zeigst wahre Führungsstärke.
Wenn du dich als Otrovertierter einschätzt:
Deine Authentizität und dein unabhängiger Geist sind deine größten Stärken. Um in einer konventionellen Welt zu bestehen, musst du Wege finden, deine Einzigartigkeit zu leben, ohne dich isoliert zu fühlen.
- Suche nach Gleichgesinnten: Du brauchst keine große Gruppe, um dich zugehörig zu fühlen. Konzentriere dich auf wenige, enge Beziehungen, in denen du intellektuell und emotional gefordert wirst. Suche nach Menschen, die deine Liebe für tiefgehende, individuelle Gespräche teilen.
- Finde deine Nische: Akzeptiere, dass du kein Teil der Masse bist. Nutze diese Position, um als unabhängiger Denker oder kreativer Problemlöser zu glänzen. Ob im Beruf oder in Hobbys – suche nach Umfeldern, in denen Individualität geschätzt wird.
- Setze klare Grenzen: Scheue dich nicht, Nein zu Konventionen, Ritualen oder Gruppenzwängen zu sagen, die sich für dich falsch anfühlen. Deine Unabhängigkeit ist wertvoll; schütze sie.
Als Coach kann ich dir helfen, diese Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen. Ein tieferes Verständnis der eigenen Persönlichkeit ist der erste Schritt zu einem erfüllten Leben, in dem du deine Stärken voll ausspielen kannst.